Um sechs Uhr dreissig glimmt bereits der Morgen über der Ostsee, als ich mich aus der Koje schäle. Die Nacht war kühl und klamm. Immer wenn ein Teil meines Körpers aus dem Schlafsack lugte, bin ich aufgewacht.
Normalerweise kann ich beim Schaukeln des Bootes gut schlafen, vor allem, wenn ich einen kräftezehrenden Törn hinter mir habe. Heute nicht. Trotz der bleiernen Müdigkeit, die auf meinem Nacken sitzt, springe ich aus der Koje. Es würde nicht besser werden, wenn ich liegen bliebe.
Vom Sturm der letzten Tage ist nichts übrig geblieben. Komisch, wenn es so kachelt dass Schweine durch die Gegend fliegen, kann man sich gar nicht vorstellen, wie leise der Morgen an der See auch sein kann.
Vor dem Hafenbüro war noch alles still. Nur zwei Schwäne putzten sich synchron das Gefieder. Knabberten mit ihren Schnabelspitzen vom Stiel nach oben ihre schlohweißen Federn sauber. Eine Meisterschaft in Muße und auf Lebenszeit. War es nicht so, dass Schwäne ihr Leben lang zusammen blieben?
Ein Schwan war ich sicher nicht, nicht in diesem Sinne. Oder gibt es Einhand-Schwäne, die sich einfach auf und davon machen?
Mir scheint es hier eine Ewigkeit her, dass ich mitten in der Nacht SMS-Gedichte schrieb.
Mein Blick sucht neuen Input. Ich will gerade einfach nicht an sie denken!
Eben trudeln die Fischer ein, die früh morgens draußen auf See ihre Netze hochhieven. “Konzentriere ich mich doch auf die”, denke ich; von mir selber ein wenig genervt.
Nach den windigen Tagen, in denen die Netze der Fischer leer blieben, tuckern heute zwei mit Schollen in den Netzen an ihren Liegeplatz. Am Steg der Fischkutter stehen im Frühjahr keine Touristen (der Fischersteg ist im Sommer eines der beliebtesten Instagram Fotomotive des kleinen Hafenortes), sondern nur die üblichen Aufkäufer. Menschen, die frischen und preiswerten Fisch zu schätzen wissen: Vietnamesische Restaurantbesitzerinnen, polnische Männer, die während des Redens rauchen und doch - ein zufällig vorbeigekommener Tourist, der sich neugierig im Hintergrund hält. Er ist gut an seinem Schalke 04 Hut zu erkennen.
“Ich hätte die Fische gerne mit Kopf”
“Ich hätte die Fische gerne mit Kopf”, sagte der Mann, der als erster dran ist. Ich kann ihn trotz Fluppe im Mundwinkel erstaunlich gut verstehen. An der Zigarette mit goldenem Filter hat sich eine beeindruckende Asche gebildet, die aber aus unerfindlichen Gründen nicht abfällt.
“Den Kopf muss ich abmachen”, entgegnet der Fischer im ortsüblichen Dialekt, der genauso platt ist wie der Fisch, den er fachmännisch putzt und filetiert. “Aber ich kann ihnen die Köpfe separat einpack’n”. Er macht eine kurze Pause und ergänzt: “Und ein paar mehr Köpfe kann ich ihnen noch dazu tun, wenn Sie wollen? Gratis.”
“Ja bitte”, sagt der Mann, “die Köpfe sind für mich”.
Der Tourist mit dem Schalke Schlapphut fängt an zu kichern. Die vietnamesischen Frauen drum herum schauen unbeteiligt, drängeln aber nun nach vorne. Köpfe gibt es heute umsonst dazu; scheint ein Glückstag zu werden.
Die Sonne blinzelt mir ins Gesicht und ich blinzel zurück, ziehe mir die Kapuze meines Hoodies über den Kopf und gehe weiter zum Hafenbüro, das hinter den Fischerbooten da liegt, als hätte ein Hobbit-Architekt es mitten ins Auenland gebaut. Drinnen begrüßt mich der Hafenmeister, ein blonder Mann Mitte 30, der geradewegs aus einer Werbung für Flensburger Bier entstiegen zu schein scheint; “ganz offensichtlich doch kein Hobbit”, denke ich und lächle.
“Moin”, sagt er knapp, als ich in seinem Büro stehe. Ein großer Tresen trennt uns; an der Wand hängt eine große Seekarte der Gegend, darunter liegen allerlei Prospekte, die Funk- und Segelkurse anbieten. Der Defibrillator für Notfälle steht angelehnt an der Wand in einer Ecke. Auf dem Tresen bittet ein Schiffchen der Deutschen Seenotrettungsgesellschaft um Spenden.
”Moin”, antworte ich.
”Hab gestern ordentlich auf die Mütze bekommen”, erkläre ich meine Anwesenheit. “Werde wohl ein paar Tage bleiben, um alles wieder klar zu machen”.
Der Hafenmeister antwortet nicht gleich, es scheint, als denke er etwas durch bevor er antwortet: “Sie können bleiben, fahren Sie aber nicht weg, nach Hamburg oder so. Ich muss sie wahrscheinlich verlegen, wenn das hier Ostern voll wird”.
“Ok, ich bleibe”, sage ich. Und denke an Hamburg und das, was ich dort zurück gelassen habe. Nein, ich habe keine Lust nach Hamburg zu fahren - oder sonst wohin. Ich bedanke mich und teste die Sanitäranlagen meiner neuen Heimat; zumindest hatte ich nun eine - zumindest für ein paar Tage.
Als ich zu meinem Boot zurückkehre ist die Sonne schon wieder verschwunden und ein feiner Schauer treibt Regen über die Förde.
Die Fischer sitzen unter der Markise des nahe gelegenen Fischbrötchen-Kiosk und trinken Bier. Ihr Arbeitstag hat bis nachmittags Pause. Dann werden sie wieder raus fahren, um ihre Netze den Fischen ein weiteres Mal auf den Kopf zu schmeissen.
Dieser Artikel ist Teil meines fiktiven Newsletter-Blogs, das die Geschichte von Pit erzählt; einem Liveaboard. Folge ihm bei seinen Abenteuern an Bord und abonniere diesen Letter.
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