Logbuch vom 10. Mai
Luft 19 Grad, Wasser 10,5 Grad
Auflandiger, frischer Wind aus Ost
Ich habe mich von meinem kleinen Abenteuer erholt, das mich wieder in den kleinen Hafen an der Kieler Förde zurück brachte. Wie sich herausstellte, war beim Einbau des neuen Motors ein alter Dieselfilter vergessen worden. Unbemerkt hatte dieser direkt unter dem Dieseltank fünf Jahre lang stoisch alles herausgefiltert, was nicht in die Maschine soll (deswegen waren die Filter hinter ihm auch noch so sauber) und weil sich niemand um ihn gekümmert hat, irgendwann einfach den Geist aufgegeben. Vollgesogen mit Dieselschmonz und Ablagerungen aus dem 40 Jahre alten Kreislauf raffinierter Dinosaurierleichen.
“Immerhin keine Dieselpest!”, war mein erster Gedanke als Joe vom Bootsservice nach einigem Suchen und noch mehr Fluchen stolz das Ergebnis mitteilte. “Kann mal passieren, den vergisst einer und alle übersehen das, nur konzentriert auf das Neue”, sagte er und gab dem Kollegen in meinem Namen seine professionelle Absolution.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, ihn nach der Südstaatenflagge zu fragen, die er an seinem Van durch die Gegend fährt, fürchtete aber, es mir mit ihm gleich zu verscherzen. Ich beschloss, die Frage aufzuschieben und bezahlte in bar.
Da das Zuschauen, wie Joe an meinem Motor herumwerkelte, für mich glatt als “Manöver” durchging, marschierte ich zügig zur Hafenkneipe am Fuße der Mole, um mir meinen wohlverdienten Manöverschluck abzuholen.
Ich traf Dean, der viel nickte als ich ihm die Geschichte erzählte, sonst aber eher einsilbig war. Nach dem zweiten Bier erzählte er dann warum. Die Männer von der Seenotrettungsstation die Förde runter hatten einen Einsatz. Drei Segler waren in Seenot geraten, als ihre gerade zu Wasser gelassenene und aufgeriggte Yacht drohte unterzugehen und dann tatsächlich sank. “Ein kleines Ventil war undicht und so suppte die Ostsee sinnig ins Boot, bis es zu spät war”, sagte Dean. Ich bestellte uns noch ein Bier und weil wir beide trotz des ersten warmen Frühlingstages ein wenig fröstelten zwei Linie Akvavit oben drauf.
Die drei Männer sahen ihrem Boot beim Sinken zu, hofften eine Weile, das Leck selbst abdichten zu können, funkten am Ende doch SOS.
Die Station war keine zwei Seemeilen weit weg, in Laboe, die Retter in Windeseile dort. Und trotzdem sind zwei von den Seglern “ertrunken”, bei dem Versuch die Rettungsinsel zu bemannen. Die kalte Ostsee hatte sie nur kurz am Körper und an den Beinen erwischt und der Wind hatte den Rest erledigt. Der dritte war an Bord geblieben und hatte unterkühlt überlebt.
Eine Horrorvorstellung für jeden Segler.
Wir tranken noch einige weitere Bier auf die Aufseegebliebenen, wüschten uns mehr Glück auf See. Als ich in die Koje kletterte fiel ich in einen unruhigen Schlaf.
Die Nacht war mild und trotzdem erwachte ich vom Klappern meiner Zähne. Im Albtraum hatte mich ein doofer Tritt an Deck über Bord befördert. Als ich auftauchte war meine Yacht schon einige Meter weitergetrieben.
Merkwürdig”, dachte ich im Traum. “Das ist mir nie aufgefallen, wie unsinnig das ist, einhand zu segeln, mit Rettungsringen und Life-Sling am Heckkorb.”
Die Kälte des Wassers hatte mir den Atem genommen. Trotzdem war ich nach dem ersten Schock noch bei mir und ruhig. Noch übermannte mich keine Panik, aber fühlen konnte ich ihr Herannahen. Sie kroch in derselben Geschwindigkeit meinen Körper hoch, wie meine Beine taub wurden. Wenn die Kälte mir in den Kopf stieg, so stellte ich mir das im Traum vor, dann würde ich mich wie “Neo” im Film Matrix fühlen. Kaltes Quecksilber würde dann in meinen Mund strömen und mich in die Tiefe ziehen.
Noch konnte ich mir vorstellen, dass ich hinter ihr her kam. Ein letzter Spurt, für den ich wie eine ausgehungerte Gepardenmutter alle Reserven würde mobilisieren müssen.
Mein orange-roter Rettungsring am Heck wogte leicht hin und her, als ich meine aufkommende Panik herunterschluckte und meinem Boot hinterher ruderte. Vier Züge, dann atmen. Vier Züge dann atmen.
Als das Quecksilber kam, wachte ich auf.
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